Inhalt:
Trotz der mittlerweile reichhaltigen Vielfalt auf
dem Sektor der Kletterführer nach wie vor das Maß
vieler Dinge: Die Alpenvereinsführer aus dem Rother
Verlag. Der vorliegende Band behandelt das Gebiet
rund um Sella und Langkofel - eine Region, die
geprägt ist durch den Gegensatz zwischen
Massentourismus und technischer Übererschließung
auf der einen Seite, aber auch Einsamkeit und seit
Jahrzehnten nicht besuchten Winkeln auf der anderen.
Sofort nach dem ersten Durchblättern wird klar:
Es handelt es sich nicht um eins der typischen
Auswahlwerke, die durch mehr oder minder
professionelle Fotos zum Kauf reizen, sondern um eine
unprätentiöse Dokumentation von fast 3000,
überwiegend alpinen Kletterrouten in diesem Bereich
Südtirols. Auffallend ist allerdings der insgesamt
trockene, manchmal fast spröde Stil der Texte, die
in diesem Buch unter gar keinen Umständen ablenken
sollen von der Schönheit des Bergideals - vielleicht
hat der Autor aber die Sellagruppe auch doch nicht
ganz so ins Herz geschlossen wie die Sextener
Dolomiten?! So springt denn der Funke der
Begeisterung für die Region nicht so spontan auf den
Leser über wie bei so manch anderen Führern und
Bildbänden von Richard Goedeke.
Doch für den Benutzer zählt in erster Linie,
daß alle wichtigen Anstiege (wie auch viele bislang
weitgehend unbekannte Routen) - bevorzugt in Form von
Anstiegsskizzen - beschrieben werden, und dieser
Anspruch wird zweifelsfrei erfüllt. Allerdings
führt das nahezu Postkarten-gleiche Format des
Buches vereinzelt zu einem gewissen
"Interpretationsspielraum" in den Topos.
Dies stört aber nicht unbedingt, denn dieser
AV-Führer wendet sich bewußt nicht an Anfänger,
sondern an Kletterer, die mit sich und der Bergwelt
zurecht kommen. Der rastlos nach neuen Zielen
suchende Sportkletterer wird allerdings etwas
enttäuscht: Sportkletterziele wie Frea oder
Traumpfeiler sind zwar gut und ausreichend
beschrieben, aber gegenüber anderen, älteren
"Konkurrenzprodukten" auf dem Führermarkt
läßt sich nur wenig Nacherschließung feststellen.
Sehr gut gelungen ist allerdings die seit Jahren
überfällige Erfassung der (heute weitgehend außer
Mode gekommenen) anspruchsvollen Anstiege am
Langkofel und seinen Trabanten.
Ein echter "Knüller" ist der Führer
für erfahrene Kletterer, die auf der Suche nach
"ersten freien Begehungen" sind. Hier wird
einem schnell bewußt, daß die Erschließung der
Alpen selbst in der "überlaufenen
Sellagruppe" noch lange nicht abgeschlossen ist
und noch viel Freiraum für die Suche nach dem
persönlichen Abenteuer besteht.
Insgesamt hat Goedeke somit ein Buch geschaffen, das einen idealen
Konsens zwischen Gebiet und Leser herstellen kann: Kein Führer über
ein Sportklettergebiet für Hallenfreaks, sondern ein Buch über ein Stück
wuchtiger Natur für Liebhaber der Bergwelt.